Wer und was reagiert in der Schule?

„We rule the school“ im Dschungel Wien: Eineinhalb rasante Stunden mit Kritik an Unterordnung, Zwang und einem Plädoyer für mehr Freiheit im Bildungs- und Schulsystem.
Unterschiedliche Typinnen
Welch viele Facetten und wilde Gefühle der scheinbar geordnete Schulalltag allerdings in sich bergen kann, werden die Darstellerinnen schnell zeigen. Denn alles andere als geordnet und einschränkbar sind schließlich auch sie selbst in den vielseitigen und starken Charakteren die sie verkörpern. Wie unterschiedlich die Protagonistinnen sind, merkt man schon zu Beginn des Stückes, als jede sich für den bevorstehenden Schultag vorbereitet. Während die einen nach Zähneputzen und Anziehen schnell aus der Türe eilen, lässt sich beispielsweise Chloe, gespielt von Laura Myśliwiec, lange Zeit um sich zu schminken, ehe sie zufrieden aus dem Raum stolziert. Auch später wird sie sich als die überheblich, arrogante aber ein bisschen Doofe gerieren. Ausnahmsweise muss sie an diesem Tag mit dem Bus fahren, weil die Eltern auf Urlaub in Ägypten sind. Später nennt sie Italien – und auf den Widerspruch aufmerksam gemacht, „egal, is eh alles in Asien“.
Was in den ersten stillen Momenten mit Mimik und Gestik ausdrucksstark vermittelt wird, ergänzen und erweitern die Darstellerinnen schließlich in ihren erste Begegnungen bei der Bushaltestelle. In ihrem Umgang miteinander, den vielen Worten die sie hastig beginnen zu wechseln, wird nun alles auf spannende und humorvolle Weise immer bunter. Auch wenn in diesen Momenten der Gruppendynamik jedem der Mädchen eine bestimmte Rolle zugeteilt zu sein scheint. Da gibt es Alex (Adelina Nita), die neue Schülerin aus Linz, die wortgewandt und selbstsicher klar sagt was sie denkt. Chloe, die „Zicke“, Alma (Lea Juliana Pecora), die sehr gut in der Schule sein will und es doch nicht ganz schafft, Mia (Jasmin Bettstein) „gibt sich auch Mühe“, Luna (Asja Ahmetović ) eifert der selbstbewussten, goscherten Alex nach – „ich mach das aber nur, weil ich will“, und gesteht später, „dass ich sie vielleicht mehr mag als ich dürfte“ – oder Charlotte (Julia Vozenilek), die von ihren Mitschülerinnen als Streberin angesehen wird und der es mega-schwer fällt sich zu integrieren.
Auch in der Schule und in der Klasse scheint kein Platz, aus diesen Rollen auszubrechen. Im Gegenteil, zusätzliche Rollen werden den Schülerinnen aufgedrängt. Besonders von der strengen, die meisten Schülerinnen verachtenden Lehrerin Prof. Weixelbaum (Elisabeth Pink), die ein Musikstück mit ihnen probt und sie dabei wie Puppen einteilt und herumkommandiert. Was sie hier unterdrückt, erniedrigt, gedemütigt werden, lassen sie an jenem jungen Lehrer Konstantin Ivanov (Adrian Stowasser) aus, der versucht, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.
Gar nicht so überzeichnet
Die beiden Lehrkräfte scheinen überzeichnet – bis sich im Gespräch nach der Premiere herausstellt, dass drei junge Besucher_innen in einer Schule in der Nähe eine Lehrerin kennen und haben, die genau so fast sadistischen Spaß dran hat, wenn sie Schüler_innen zum Weinen bringt.
Wobei Regisseur Charly Vozenilek das Stück, das ihm ein Herzensanliegen ist, „gar nicht so sehr als Kritik an einzelnen Lehrerinnen und Lehrern“ sieht. Vielmehr geht es ihm „um eine grundsätzliche Kritik am System“, das auf Normierung und Anpassung aus ist. Statt Interessen, Neugier, Talente von Kinder – wie sie alle ja haben – zu fördern. Und dann wird dauernd beklagt, dass junge Leute in Jobs kommen, die nicht kreativ genug sind, um große Probleme zu lösen oder auch nur in Angriff zu nehmen.
Sich selbst überlassen
Auf einmal scheinen alle anderen aus der Schule weg, die Klasse sich selbst überlassen zu sein. Da kommen Momente auf, wo die vorherigen Rollen plötzlich an Wert zu verlieren scheinen. Wenn die Schülerinnen am Boden sitzen und ohne Worte, nur zur Musik, große Bälle hin und her rollen. Wenn Sophia (Amina Mostageer), die die ganze Zeit genervte Sprachnachrichten über jede Situation an eine Freundin geschickt hat, alleine im Raum sitzt, sich nachdenklich anhört und versucht, sich selbst Antworten zu geben. Wenn die Schülerinnen von selbst zu lesen anfangen und schauen, welche der Figuren aus ihrer Klassenlektüre „Farm der Tiere“ von George Orwell am ehesten zu wem passt. Wenn Charlotte, während ihre Mitschülerinnen sie immer mehr in Klopapier einwickeln, von ihren Ängsten spricht, Regeln zu brechen. Oder wenn sie am Ende des Stückes, als die Lehrerin ihr eine Anweisung gibt, das erste Mal mit „Nein“ antwortet.
In Momenten, in denen plötzlich alle Schülerinnen und sogar der Lehrer geeint zu sein scheinen in ihren Unsicherheiten und ihren Fragen an sich selbst. Wenn einem bewusst wird wofür Schulzeit vor allem auch steht: Für die verwirrendenden, oft komplizierten und aufregenden Herausforderungen des Erwachsenwerdens. Und vielleicht nicht zuletzt dafür stehen sollte, sich im Widerspruch, im Widerstand gegen überkommene Normen zur – wie es allgemein ja immer postuliert wird – Mündigkeit als Staatsbürger_in zu entwickeln.
Grandios
Sagenhafte Entwicklungen haben offenbar auch einige der Mitwirkenden genommen. Für zwei der jungen Darstellerinnen war es das erste Bühnenstück – was in keinster Weise zu merken war – ein rundes, gut harmonierendes Ensemble, wo fast alle – wie sie im Gespräch mit dem KiKu betonen – „viel von der eigenen Persönlichkeit einbringen“ konnten. Nur Julia Vozenilek (19), die schon seit Jahren spielt und hier kurzfristig für die Rolle der Charlotte eingesprungen ist, musste eher als überangepasste Streberin das Gegenteil spielen, „aber auch das war eine spannende Herausforderung“. Meisterhaft bewältigt.
Genial und nie auch nur als Gag auf- und eingesetzt, sondern organischer Teil des Bühnengeschehens sind die Whats-App-Nachrichten und die aktuell live von der Bühne geposteten Fotos, die auf der Leinwand im Hintergrund in der Sekunde auftauchen.
Rosanna Wegenstein, 18 und Heinz Wagner
Kritik von der Kulturwoche vom 12.06.2017
Ein Tag im Leben einer Schule der Kinder
von Manfred Horak mit den Schlagworten:

Schlafende Mädchen auf der Bühne, die sich, sobald der Wecker läutet, zeitig in der Früh, fertig machen für den nächsten Schultag. Kommuniziert wird dabei bereits heftig via WhatsApp. Gemotschkert, gesudert, schulisches gefragt. Vor der Bushaltestelle treffen sie erstmals am Tag real aufeinander, die WhatsApp Kommunikation wird dabei noch weitergeführt, als wären sie weiterhin in getrennten Räumen. In diesen ersten Minuten des Theaterstücks „We Rule The School“ erfährt das Publikum erste Charaktereigenschaften der Protagonistinnen, zunächst noch recht oberflächlich – es ist ja schließlich noch zeitig in der Früh – mit Fortdauer des Stücks und somit des Tages jedoch vertiefend, dank der gekonnten kollektiven Schauspielerinnenleistungen.
Die Schule – Versäumnisanstalt und Farm mit Käfighaltung
Die Schule, jahrzehntelanger Hort an Diskussionen, ist – es gibt solche und solche – eine Versäumnisanstalt und eine Farm mit Käfighaltung, die (diese solchen sind mir lieber) nur selten hohen Ansprüchen gerecht wird. Die Frage, wie die Bildung von heute ausschauen soll, um mündige, unabhängige, Erwachsene hervorzubringen, kann freilich auch dieses Theaterstück nicht beantworten, aber es wirft Ideen auf und kreiert immerhin Denkanstöße, und das ist schon sehr viel, was ein Theaterstück leisten kann. Interessanterweise greift das Team von TimeOut rund um Regisseur Charly Vozenilek auf „Animal Farm“ (Farm der Tiere) von George Orwell aus dem Jahr 1945 zurück, das ja wiederum eine Parabel auf den Kommunismus und dem inneren Kampf Stalin vs Trotzki ist. Diese Überspitzung und Abstraktion ist einerseits gewagt, andererseits sind Orwells Charakterstudien in jeder Gesellschaftsform anwendbar. So formte z.B. auch Roger Waters für Pink Floyd eine britische Kapitalismuskritik beim Album Animals (1977) basierend auf Orwells „Animal Farm“.
Hinter die Fassade blicken oder doch nur kratzen?
Dennoch: Das Theaterstück zu sehen und das Begleitmaterial zur Vorstellung zu lesen, ist doch sehr konträr. Die Tiefe und der Anspruch des Stücks ist nicht so einfach erkennbar, wie es sich im Begleitmaterial liest. Man hat oft das Gefühl, dass die Theatermacher hinter die Fassade wollten, es letztendlich aber nur schafften, an der Fassade zu kratzen. Denn, was sehen wir? Wir sehen eine Mädchenschulklasse (bzw. einen Teil davon; es sind sieben Schülerinnen und zwei Lehrkräfte), die untereinander ihr Miteinander ausfechten, ihre Freundschaften definieren, ihre Ängste und Problemfelder artikulieren und nicht zuletzt ihren Schulalltag thematisieren. All das hat seine witzigen und auch spannenden Momente und macht das Stück (so oder so) empfehlenswert für 13+. //
Text: Manfred Horak
Fotos: Mona Abdel-Baky